Beschreibung
Friedrich Kiel wurde am 7. Oktober 1821 in Puderbach bei Laasphe im Wittgensteiner Land geboren. Am Hofe des musikliebenden Fürsten Albrecht I. von Sayn-Wittgenstein brachte es der begabte Jüngling bis zum Kapellmeister. Durch Fürsprache des Fürsten erhielt er ein Stipendium von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und studierte von 1842 bis 1845 bei Siegfried Dehn in Berlin, wo er dann auch zwei Jahrzehnte als freischaffender Komponist, Pianist und Pädagoge wirkte. 1865 wurde Kiel in die Berliner Akademie der Künste aufgenommen und 1868 erhielt er eine Professur am Sternschen Konservatorium. Joseph Joachim berief den inzwischen zu hohem Ansehen gelangten Komponisten nach Gründung der Berliner Musikhochschule 1870 als Leiter einer Kompositionsklasse an dieses Institut. Er blieb – übrigens unverheiratet- bis zu seinem Tode am 13. September 1865 in Berlin.
In seinen frühen Veröffentlichungen folgte Kiel der Bach-Tradition und schrieb Kanons und Fugen für Klavier; auch die Kammermusik nimmt einen breiten Raum ein. In der späteren Schaffensperiode treten die großen Chorformen wie Messe, Requiem und Oratorium in den Vordergrund, und hier schuf Friedrich Kiel Werke, die an Tiefe der Empfindung und des Ausdrucks ebenso wie an sicherer und natürlicher Handhabung der kompositorischen Mittel gleichberechtigt neben jenen seiner Zeitgenossen stehen dürfen. Sein Oratorium “Christus” wurde, auch über seinen Tod hinaus bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein in Deutschland bekannt, geschätzt und erfuhr viele Aufführungen. Die hier in einem Neudruck vorgelegten “6 geistlichen Gesänge für Frauen- oder Knabenchor Op. 64” schrieb Kiel 1869, dem Jahr der Gründung der Berliner Musikhochschule, an die Kiel ein Jahr später berufen wurde. Es handelt sich um musikalisch tief empfundene Motetten auf lateinische Texte für den Gottesdienst.
Kyrie, Crucifixus, Agnus Dei und Benedictes sind praktisch in jedem Sonntagsgottesdienst zu verwenden; Adoramus te und Requiem aeternam eignen sich für die Passionszeit bzw. für das Ende des Kirchenjahres oder Trauergottesdienste. Zudem dürften namentlich Frauenchöre dankbar sein für eine sehr wertvolle Bereicherung ihres Repertoires. Mögen ferner diese Motetten dazu beitragen, in Friedrich Kiel einen hervorragenden Repräsentanten des 19. Jahrhunderts zu erkennen und Interesse zu wecken für seine großen chorsinfonischen Werke wie Requiem f-Moll und As-Dur, Missa solemnis und das Oratorium “Christus”, deren Nichtbeachtung doch als eine empfindliche Lücke im Konzertleben anzusehen ist.
Speyer, im Januar 1996 Udo-R. Follert